‚Pöseldorf‘ oder ‚Der UGG-Boot‘-Kiez

‚Pöseldorf‘ oder ‚Der UGG-Boot‘-Kiez

21. November 2012 Aus Von Victoria Schwartz

Der großartige Hamburger Autor und Blogger Maximilian Buddenbohm forderte andere Blogger dazu auf, über den eigenen Stadtteil zu schreiben. Bisher erschienen schon eine ganze Reihe von tollen Artikeln.
Hier nun mein Beitrag über Pöseldorf.

Pöseldorf ist im Grunde kein eigener Stadtteil, sondern ein Wohngebiet im Viereck Mittelweg/Alsterchaussee/Alsterufer/Alte Rabenstraße.
Früher war es deutlich kleiner, aber mit den Jahren vergrößerte es sich immer mehr, weil jeder in den Genuss kommen wollte, im ‚Edelviertel‘ zu wohnen

Ich wohne schon mein ganzes Leben lang hier. Als ich klein war, gab es noch viele ganz normale Leute mit normalen Berufen und normalem Einkommen. Die Häuser waren renovierungsbedürftig und die Läden hatten keinerlei Glamour. In den späten 80er Jahren wurde das Viertel dann entdeckt. Seine Nähe zur Außenalster und seine Anzahl unglaublich schöner Häuser machte es für Immobilienspekulanten und Neureiche extrem interessant.
Die Häuser wurden saniert, kleine beschauliche Höfe entstanden

und man verschönte unattraktive Ecken (Jahaaaa! Wir hatten hier schon StreetArt, da wusste man in anderen Stadtteilen noch gar nicht, dass es das überhaupt gibt).

In den letzten Jahren verschob sich das Gleichgewicht immer mehr.
Nun wohnen hier Menschen mit Geld. Viel Geld. Die wenigen Normalverdiener, die hier schon ewig wohnen, sind fast Exoten. Eine Miete von 2.500 Euro wird mit hysterischem: „Waaaaaaas? Das ist ja GESCHENKT!“ kommentiert, und man erntet verschreckte Blicke, wenn man, wie ich, in Adidas-Jacke und Nerd-Mütze zum Einkaufen geht, nicht an der Alster joggt und keine Size Zero trägt.

Frisch renovierte Fassaden säumen die Pöseldorfer Straßen und die Dichte an Autos gehobener Preisklassen ist immens. Neuerdings stehen alle 10 Meter Range Rover, so als warte der Besitzer sehnsüchtig darauf, jemals damit ein Rind per Lasso einzufangen oder einen Trecker aus dem Matsch zu ziehen.
Nicht selten werden Kinder von ihren Müttern morgens im Geländewagen zum Kindergarten gefahren und Nachmittags mit dem Porsche wieder abgeholt.

Ein Spielplatzbesuch am Wochenende ist unbedingt zu empfehlen. Allerdings nur bei Sonnenschein und einer Temperatur, die 25 Grad nicht unterschreitet, denn dann sieht man Frauen in High Heels und Prada-Kostümchen, mit Coffee-To-Go-Bechern in der Hand, ungeschickt durch den Sand balancieren und mit Adleraugen aufpassen, dass Karl-Friedrichs und Elisabeth-Sofies Sandspielzeug nicht von fremden Kindern angefasst wird.
Überhaupt: Ohne Coffee-To-Go bewegt sich kaum eine Frau auf diesen Spielplatz. Vermutlich belohnt man sich mit einem Kaffee dafür, dass man die Strapazen eines Nachmittags mit dem Nachwuchs auf sich nimmt. Und das Praktische: Am nächsten Tag übernehmen dann ja wieder die Nannies und russischen Aupairs. Die können dann auch gleich den Müll wegräumen, wenn die Eimer mal wieder die Fülle an Kaffee-Bechern nicht mehr aufnehmen können.

Nur einmal kam es auf diesem Spielplatz zu einer Episode, die meinem Stadtviertel ein wenig seiner trägen ‚UGG-Boot‘-Beschaulichkeit nahm. Als es nämlich auf Grund eines Eifersuchtsdramas zu einer Schießerei auf der anderen Straßenseite kam und wir Mütter mitsamt unseren Kindern Deckung hinter Spielgeräten nahmen. Die Kinder waren begeistert von der Action, wir Mütter eher weniger.
Geschossen wird hier nicht selten. Vor einem kleinen italienischen Restaurant wurde eines Tages z.B. auch die legendäre Kiezgröße Karl-Heinz „Kalle“ Schwensen angeschossen. Ich kam just in dem Moment nach Hause, als ihn Sanitäter auf eine Trage legten. Und der Mann bewies Humor, indem er mir (ich schwöre) die Finger zum Victory-Zeichen entgegen streckte.

Man trifft häufig auf Prominente. Der wirklich sympathische Oliver Geissen wohnt mit seiner Partnerin Christina Plate, die ich noch nie habe lächeln sehen, in der Nachbarschaft, genauso wie die Exfreundin eines Ex-Tennisstars und ihr Exfreund, der Sänger einer Ex-Boyband. Diesen trifft man fast täglich bei Luigi, dessen Eisladen mit dem Café links daneben zum Marktplatz der Gegend geworden sind. Hier sitzen auch bei Minusgraden noch tapfere Stammgäste draußen und trinken ihren Cappuccino oder die beste heiße Schokolade der Stadt.
Im Sommer reicht die Schlange Wartender bis zur Straße, was Erstens daran liegt, dass das Eis wirklich lecker ist, und Zweitens, weil man in Pöseldorf gewohnt ist, Sonderwünsche zu äußern und dadurch die Bestellungen manchmal groteske Züge annehmen: „Luigi, machst du bitte für Johanna-Elise einmal ein Spaghetti-Eis, aber mit Erdbeer statt Vanille, statt Erdbeersoße die rosanen Lilifeestreusel, keine Sahne und nur die halbe Portion?“.
Luigi ist der nervenstärkste Mensch, den ich kenne. Ich würde an seiner Stelle regelmäßig weinend über dem Tresen zusammen brechen.

Wer zum Eis essen vorbei schauen möchte, sollte auf das Auto verzichten, denn Parkplätze sind hier generell Mangelware. Den Pöseldorfern macht das aber nichts, da die Fußwege breit genug sind und sich dort immer noch ein Plätzchen finden lässt. Und wenn es mal ein Ticket gibt, nimmt man das sportlich und zahlt es aus der Portokasse.

Einkaufsmöglichkeiten für die Dinge des täglichen Bedarfs gibt es wenige. Billige Discounter fehlen total, dafür haben wir einen EDEKA, der den – damals laut Stern – „teuersten SPAR-Markt Europas“ abgelöst hat und einen BUDNIKOWSKY, der zwischen all den Boutiquen und Läden für Hunde-Luxus-Accessoires eine wunderbare Oase der Normalität ist.

In Pöseldorf befindet sich auch die staatliche Jugendmusikschule, die es Kindern ermöglicht, relativ günstig ein Musikinstrument zu erlernen. Jedem der daran interessiert ist, sei ans Herz gelegt, sein Kind möglichst früh dort auf die Warteliste zu setzen. Denn hier gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Und da die Pöseldorfer extrem gut organisiert sind, stehen sie quasi direkt nach der Entbindung im Büro und melden den Nachwuchs für Musikalische Früherziehung, Violine und Klavier an.

Trotz all dem, was einen hier manchmal nervt, all dem Getanze um Geld und Status, Luxusgüter und Konsum, muss ich sagen, dass es im Großen und Ganzen ein Geschenk ist, hier zu wohnen. Die meisten Menschen sind höflich, man stolpert nicht über Betrunkene in Hauseingängen, Kinder können hier entspannt groß werden, wenn man genug von der Langeweile hat, liegen die Innenstadt, das Schanzen- und das Grindelviertel so nah, dass man gemütlich hinlaufen kann und die Alster liegt nur einen Steinwurf entfernt.

Also, kommt mal vorbei. Aber zieht euch was Ordentliches an.