Shitstorm

Shitstorm

3. Dezember 2012 Aus Von Victoria Schwartz

Manchmal hasse ich das Internet.
Diese Ansammlung aus Banalität, Dummheit, schlechten Fotos, hässlichen Menschen, Rechtschreibfehlern, furchtbarer Musik, langweiligen Themen und Leuten, die ihre kleinen, öden Leben zwanghaft anderen Menschen mitteilen wollen.

Na? Wie hat sich das angefühlt? Hat euer Widerspruchsgeist sich gerade geregt?
„Die doofe Kuh! Selber langweilig, hässlich, schlecht gekleidet, ödes Leben!“
Tja. Genauso funktioniert das Internet in Bezug auf Konflikte jeglicher Art, von Cybermobbing bis Shitstorm.

Menschen schreiben etwas. Vielleicht haben sie nicht einmal wirklich darüber nachgedacht. Vielleicht war es nur ein kurzer emotionaler Gedankenblitz, der unglaublich dringend ausgesprochen werden musste, damit man ihn los ist. Kennt ihr selber, nehme ich mal an. Und das Internet ist so leicht dafür zu haben: ein schneller Tweet, ein Facebook-Post, ein klitzekleiner Blogartikel. Zack. Raus ist es.
Nur leider geht das Antworten darauf genauso schnell.
Im ‚wahren Leben‘ würde wohl jeder erstmal überlegen, ob es ihm wirklich wichtig ist, sich zu einem Thema zu äußern. Und gar nicht so selten feststellen: „Ach. Eigentlich interessiert mich das gar nicht“, „Eigentlich kenne ich mich damit gar nicht aus“. Ein Comment hingegen schreibt sich quasi von allein. Und da er so schnell geschrieben ist, man sich selten einen zweiten Gedanken zum Thema gemacht hat, fällt er oft spitzer, kritischer oder inhaltsleerer aus, als man ihn im Real Life jemals ausgesprochen hätte.

Als Beispiel möchte ich hier den Skater-Shitstorm anführen, der letzte Woche für Furore sorgte.
Eine Frauenzeitschrift (deren Namen man nicht gerade mit großen Zeitgeistströmungen und Trends in Verbindung bringt, sondern eher mit ihrer gleichnamigen Diät und Strickanleitungen) veröffentlichte online einen Artikel, in dem – kurz gesagt – die Autorin Männern über 25 Jahren das Recht absprach, Skateboard zu fahren, ohne sich lächerlich zu machen.
Es war kein großer, wichtiger Text, eher ein wenig hingerotzt und vielleicht auch etwas unglücklich und selbstbewusst formuliert.
Es passierte jedenfalls genau das, was ich oben versucht habe, zu beschreiben. Es regte sich Widerspruchsgeist auf ganzer Linie. Es hagelte kritische Kommentare. Teilweise extrem unter der Gürtellinie, inklusive Morddrohungen und Verwünschungen jeglicher Art.
Interessant dabei: Welchen erwachsenen Skater interessiert es eigentlich wirklich, was eine eher konservative Frauenzeitschrift ihm zu sagen hat? Wenn ich mich jetzt vor einen von ihnen stellen würde und ihm ins Gesicht sage: „Ey, du bist zu alt zum Skaten. Verschenk dein Board an den kleinen Jungen da hinten in der Sandkiste“, würde ich doch vermutlich schallendes Gelächter ernten und das war’s. Ich bezweifle, dass mir ins Gesicht gesagt werden würde: „Verpiss dich, du Bitch. Du sollst verrecken, du Sau!“.

Was ich sagen will: Vielleicht sollte sich jeder, JEDER – auch AutorInnen – ein bisschen mehr Gedanken darüber machen, was er wie schreibt. Hinterfragen, ob er wirklich hinter dem steht, was er gerade von sich gibt. Ob es Sinn macht oder man es sich besser verkneifen sollte. (Ich spüre, wie ihr jetzt denkt: „Selber. Die soll doch mal lesen, was sie für Geblubber schreibt …“)

Es geht hier nicht um Selbstzensur. Was raus muss, muss raus. Aber wer kontrovers schreibt, darf sich eben auch nicht über kontroverse Diskussionen wundern. Wäre schön, wenn diese dann sachlich geführt werden könnten.
Toleranz, Menschlichkeit und ein angemessener Umgangston sind drei Dinge, die ich oft im Internet vermisse. Und ich rede hier von uns ‚ganz normalen Menschen‘, nicht von ‚Trollen‘.

Eins noch generell zum Thema Toleranz: Wir leben in einer Zeit, die schon schwierig genug ist. Wäre es da nicht wunderbar, wenn wir wenigstens andere Leute so sein lassen könnten, wie sie sind? Wenn uns egal wäre, ob Menschen mit über 25 skaten, sich mit 70 noch schminken, trotz 95 Kilo gerne Paillettenschlauchkleider tragen, mit Sprachfehler Reden halten, schwul sind, große Nasen haben, FDP wählen, Ballerspiele spielen, an Gott glauben, Eichhörnchentattoos haben, komische Mützen tragen, Modern Talking verehren, ‚Titanic‘ für den besten Film aller Zeiten halten, Greenpeace unterstützen … Ach, ich könnte die Liste endlos fortführen. Ich mag nämlich Menschen. Fast alle. So lange sie sich wie Menschen benehmen.